Versandland

Blauholz und Brasilholz: wie Bäume ganze Nationen prägten!

Blauholz und Brasilholz: wie Bäume ganze Nationen prägten!

Wenn Sie im späten 15. Jahrhundert in Europa gelebt hätten, wäre Ihre Garderobe nach heutigen Maßstäben wahrscheinlich sehr trist gewesen. Die Auswahl an Farben war auf schwarze, gelb-braune und graue Farbtöne beschränkt. Es gab zwar rote und violette Farben, doch das Angebot an Farbstoffen für diese Farbtöne war sehr begrenzt und ungemein teuer, und der größte Teil dieser Farben wurde für königliche und kirchliche Kleidung verwendet. Kurz nach den berühmten Reisen von Kolumbus entdeckten die Portugiesen und Briten dann die schier unerschöpflichen und aufregenden Quellen von Produkten aus der 'Neuen Welt' und damit die leuchtenden roten Farbstoffe von zwei mittel- und südamerikanischen Bäumen. Diese bemerkenswerten botanischen Entdeckungen veränderten die Garderoben Europas für immer und führten letztlich zur Geburt zweier neuer Nationen.

Brasilholz (Caesalpinia echinata)

Es gibt europäische Aufzeichnungen über echte rote Farbstoffe im Mittelalter, hauptsächlich aus dem Kernholz eines asiatischen Baumes, das Sappanholz genannt wurde. Sappanholz (Caesalpinia sappan) stammte aus Indien, Malaya und Sri Lanka und wuchs in den asiatischen Tropen. Das Holz wurde bereits seit dem Mittelalter nach Europa importiert, allerdings nur in sehr begrenzten Mengen. Sein Farbstoff war ein schönes tiefes Rot, die Farbe erinnerte an die von glühenden Kohlen (im Altfranzösischen und Englischen "braise") und wurde von den frühen portugiesischen Händlern als Bresil oder Brasil bezeichnet. Um1500 entdeckten portugiesische Schiffe die atlantische Seite Südamerikas und beanspruchten diese als Besitzungen der Krone. Dieses riesige unerforschte Land wurde 'Terra de Brasil' und später wegen der dort im Überfluss wachsenden Farbholzbäume (Caesalpinia echinata) Brasilien genannt. Wie das eng verwandte Sappanholz wurde auch der wertvolle Farbstoff aus Brasilholz (Brasilien genannt) zu einem beliebten Farbstoff für Baumwolle, Wollstoff und roter Tinte. Wie bei den kostbarsten Ladungen von Gold und Juwelen waren portugiesische Schiffe, die mit Brasilholz beladen waren, beliebte Ziele von Piraten und Freibeutern auf hoher See.

Blauholz (Haematoxylum campechianum)

Die Spanier hatten bei ihren frühen Expeditionen auf der Halbinsel Yucatan einen Baum mit tiefrotem Kernholz entdeckt, das dem schon bekannten Brasilholz sehr ähnlich war. Der Baum wurde als Blauholz (Haematoxylum campechianum) bekannt, und Ende des 16. Jahrhunderts exportierten spanische Schiffe große Mengen des wertvollen Kernholzes von der Küste Yucatans, meist aus dem namensgebenden Hafen von Campeche.
Zu dieser Zeit griffen britische Freibeuter oft spanische Schiffe an und kaperten diese. Im 1883 erschienenen Buch 'British Honduras' beschreibt A. R. Gibbs einen solchen Freibeuter namens Captain James, der bei solch einem Angriff entdeckte, dass das entrindete Kernholz in England für den enormen Preis von hundert Pfund Sterling pro Tonne verkauft wurde. Historiker schätzen, dass der Durchschnittswert der Waren, die ein Schiff im 17. Jahrhundert in einem Jahr transportieren konnte, 1000 bis 1500 Pfund Sterling betrug. Eine einzelne Ladung von 20 Tonnen Blauholz war mit circa 2000 Pfund mehr wert als eine ganze Jahresladung anderer Waren!
Es gab andere natürliche rote und violette Farbstoffe, die im mittelalterlichen Europa verwendet wurden, darunter Krapp, Indigo, Karmin, Tyrrhenisches Purpur und die Flechtenfarben Orchil und Orcein. Wie Sappanholz wurden sie alle aus fernen Ländern importiert und waren dadurch sehr teuer. Da diese tierischen und pflanzlichen Extrakte als von überlegener Dauerhaftigkeit galten, lehnten viele englische Färber die billigeren, importierten Holzfarbstoffe aus Mexiko und Mittelamerika ab. Von 1581 bis 1662 wurde sogar ein Parlamentsgesetz erlassen, das die Verwendung von Blauholz zum Färben verbot. Obwohl jeder, der gegen dieses Gesetz verstieß, inhaftiert oder an den Pranger gestellt wurde, entdeckten einige Färber offenbar die farbechten Eigenschaften von Blauholz und benutzten es unter anderen Namen, weswegen es in alten Quellen manchmal bewusst irreführend als Blackwood bezeichnet wurde.
 
Der Ruhm des Blauholzes verbreitete sich in der alten Welt und bald begannen Freibeuter, mit Blauholz beladene Schiffe auf ihrer Rückreise nach Spanien zu kapern. Als die spanische Marine Begleitschiffe zum Schutz der Handelsschiffe entsandte, verlegten sich die Freibeuter darauf, an Land nach Blauholz zu suchen. Bereits Anfang des 17. Jhdts. hatten die Briten große Blauholzbestände an den Küsten Mittelamerikas und der Karibik entdeckt. Zwischen 1640 und 1660 wurden Holzfällerlager in den moskitoverseuchten Sumpfgebieten eingerichtet, die damals Britisch-Honduras genannt und später Belize benannt wurden. Die frühen Holzfäller, Baymen genannt, exportierten im 17. und 18. Jahrhundert tausende Tonnen Blauholz nach England, bis zu 13.000 Tonnen in einem einzigen Jahr.

Sammelplatz für Blauholz in Campeche, Mexiko
 
Der Blauholzbaum wird mit durchschnittlich nur 10 Metern Höhe nicht sehr groß, hat einen eher kleinen, tief gewellten stachelbesetzten spannrückigen Stamm, der wie eine Gruppe von miteinander verwachsenen kleinen Stämmchen aussieht. Die gefiederten Blätter bestehen aus mehreren Paaren  herzförmiger Blätter. Auffällige gelbe Blüten erscheinen das ganze Jahr über und sind typisch für die Familie der Caesalpinioideae. Das Holz ist sehr hart und dicht, frisch geschnittene Stämme gehen im Wasser unter. Das dunkle Kernholz ist die Quelle für den leuchtend roten Farbstoff Hämatoxylin.
 
Die Lebensbedingungen in den frühen Holzfällerlagern inmitten von moskitoverseuchten Sümpfen müssen unerträglich gewesen sein. Auf erhöhten Plattformen wurden primitivste Unterkünfte für die Holzfäller errichtet. Während der Regenzeit traten Arbeiter oft morgens in kniehohes Wasser und liefen den ganzen Tag darin. Die Holzfäller konnten die gefällten schweren Baumstämme nur transportieren, indem sie diese die Flüsse hinunterflößten. Aus schwimmbaren, leichten Palmenstämmen und anderen Bäumen wurden Flöße gebunden, um das schwere Blauholz damit flussabwärts zu den schiffbaren Küsten zu transportieren. Rinde und Splintholz wurden schon am Fällort entfernt, bevor das Blauholz auf größere Schiffe verladen werden konnte. Am Verladeort war es dann noch eine gewaltige harte körperliche Arbeit, oft tonnenschwere Holzblöcke und kleinerer Scheite aus den gefällten Bäumen zu schneiden. Hiervon herrührende große Hügel von Holzspänen und Abschnitten wurden zu den höchsten Erhebungen in diesen Gegenden und galten als bevorzugte Standorte für den Bau eines Hauses.
 
Zu der Zeit wurden Sklaven aus Afrika und Westindien hergebracht, um im Holzeinschlag zu arbeiten. Viele der Sklaven starben an Krankheiten, Unterernährung und durch unmenschliche Grausamkeiten ihrer Besitzer. Der Nahrungsmangel war ein ständiges Problem, deshalb fingen die Holzfäller Fische oder töteten Seekühe, die einst zahlreich in der Nähe der Flussdeltas lebten, um ihr Überleben zu sichern.
 
Wie die portugiesischen Seeleute ein Jahrhundert zuvor waren britische Blauholzschiffe während des 18. Jahrhunderts nun ein ständiges Ziel für Piraten. Es gab zudem häufig rechtliche Konflikte mit den Spaniern über das Recht der Briten, sich in Belize niederzulassen und Blauholzbäume zu fällen. Im Laufe des 18. Jahrhunderts griffen spanische Truppen immer wieder Lager von Holzfällern an. Schließlich gab 1763 der Vertrag von Paris den Briten das Recht, Blauholz zu fällen und zu exportieren, aber Spanien beanspruchte immer noch die Souveränität über das Land. Eine weitere Vereinbarung aus dem Jahr 1783, der so genannte Vertrag von Versailles, beschränkte die für Blauholzfäller landeinwärts gelegenen zugänglichen Bereiche. Ein weiterer Krieg zwischen spanischen Soldaten und britischen Siedlern brach 1798 aus, und obwohl die spanischen Streitkräfte überlegen waren, kannten die Baymen die Küstengewässer besser und konnten die Spanier besiegen.
 
Die vielen Farben von Blauholz

Der eigentliche aus Blauholz gewonnene Farbstoff ist Hämatoxylin, eine komplexe Phenolverbindung, die den Flavonoidpigmenten der Blüten ähnelt. Die chemische Struktur von Hämatoxylin ist praktisch identisch mit dem Farbstoff Brasilin aus Brasilholz, nur dass Hämatoxylin ein zusätzliches Sauerstoffatom hat. Das Hämatoxylin wird durch Auskochen von Spänen oder das Zermahlen von Holzfasern in wässeriger Lösung gewonnen. Durch die Oxidation an der Luft werden die orange-roten Kristalle von Hämatoxylin allmählich zu metallisch grünen Kristallen eines anderen beliebten Farbstoffs, dem Hämatin umgewandelt. Das Vorhandensein einer größeren Menge an Tanninen (Gerbsäuren) im violett-roten Farbbad ermöglicht es dem Blauholzextrakt, mit Eisensalzen zu reagieren, um eine dauerhafte schwarze Farbe zu erhalten. Blauholzfarbstoffe werden häufig für Baumwolle und Wollwaren, Leder, Pelze, Seide, Tinten sowie als natürlicher roter Farbstoff für Zahnpasta und Mundwasser verwendet.
 
Um die Farbstoffe farbecht zu machen, müssen sie mit verschiedenen Beizmitteln wie Alaun, Essigsäure und Weinstein zu Chelaten verarbeitet werden. Die Wirkung von Beizen ist sehr komplex, aber im Wesentlichen dienen sie dazu, die Farbstoffmoleküle chemisch mit dem Gewebepolymer zu verbinden. Je nach Art des Beizmittels und Dauer des Färbebades entstehen unterschiedliche Farben, darunter leuchtende Rottöne und schöne Blautöne von hellem Lavendelblau bis zu tiefem Blauschwarz. Es sind über 100 Rezepte zum Herstellung von hämatoxylinhaltigen Farblösungen bekannt. Obwohl die Nachfrage nach Blauholzfarbstoffen mit der Entwicklung synthetischer Ersatzstoffe Mitte des 19. Jahrhunderts zurückging, tauchte im Ersten Weltkrieg wieder Blauholz in den amerikanischen Häfen auf, weil die deutschen Anilin-Exporte eingestellt wurden. Sowohl Hämatoxylin als auch Hämatin werden immer noch häufig für bakteriologische und histologische Färbungen im Labor verwendet. Blauholz- und Brasilholzfarben waren auch in der Kunsttischlerei beliebte Beizen.

Bis heute sind das Symbolbild eines schwarzen und weißen Blauholzfällers im Staatswappen von Belize zu finden, das die Währung und die belizische Flagge schmückt.
 Belize

Interessant sind auch noch zwei beliebte Tierfarbstoffe aus dieser Zeit. Tyrianisches Lila oder königliches Lila wurde aus Schnecken der Gattung Murex vom Mittelmeer gewonnen. Sie war die Hauptfarbe der Phönizier und wurde zum Färben der Gewänder der antiken griechischen und römischen Aristokraten verwendet. Karminrot wurde aus den zerquetschten Körpern der Cochenilleläuse gewonnen, kleinen Insekten, die Wollläusen ähneln und auf Kakteen in Mexiko und im Südwesten der USA leben. Durch mühevolle Handarbeit wurden viele der winzigen Insekten von den stacheligen Kaktuspflanzen gebürstet und hauptsächlich nach England exportiert. Es gibt die falsche Behauptung, dass Cochenille-Schildläuse verwendet wurden, um die roten Uniformmäntel der britischen Soldaten zu färben, die diese während der Revolutionskriege trugen; der für diese Rotfärbung verwendete purpurrote Farbstoff stammte jedoch aus den Wurzeln der eurasischen Krapp-Pflanze (Rubia tinctorium).